Breslau - die Stadt mit den zwei Herzen
Freundschaftsfahrt in die niederschlesische Metropole an der Oder
Graz/Breslau.- Freundschaft und Wirtschaft, beides wesentliche Elemente einer jährlichen Freundschaftsfahrt, die nach Städten wie Pecs, Laibach, Triest, Zagreb und Krakau diesmal ins niederschlesische Breslau führte. 157 Gäste waren es, die dem Ruf von Landesamtsdirektor a. D. und jetzigem polnischen Honorarkonsul in Graz, Dr. Gerold Ortner folgten und in drei Bussen über das Fronleichnam-Wochenende die Reise nach Polen antraten. An der Spitze der Reisegruppe mit Delegationscharakter Landtagspräsident Reinhold Purr, im Gefolge auch hochrangige Vertreter der Wirtschaft.
Mit 640.000 Einwohnern ist Wroclaw die viertgrößte Stadt Polens und Verwaltungszentrum der Woiwodschaft Niederschlesien. Die Stadt an der Oder ist ein wichtiges Wirtschafts- und Wissenschaftszentrum und gute eintausend Jahre alt. Mit einer überaus wechselvollen Geschichte, für 215 Jahre sogar mit Österreich verbunden und als Maria Theresia den Großteil Schlesiens im Jahre 1742 an ihren Widersacher Friedrich II. nach einem verlorenen Krieg abtreten musste, soll sie geklagt haben: „Den Garten hat er mir genommen, den Zaun hat er mir gelassen.“
Tragisch die Geschichte der Stadt im und nach dem Zweiten Weltkrieg - nahezu restlos von den Nazis und Alliierten zerstört, die deutsche Bevölkerung vertrieben, dafür die vertriebene polnische Bevölkerung vorwiegend aus dem ukrainischen Lemberg, heute Lwow, das zu Russland kam, angesiedelt, schafften es die Menschen dort trotz allem, Breslau, nun Wroclaw, wieder zu einem städtebaulichen Kleinod zu machen. Man fühlt es aber förmlich, dass in dieser Stadt zwei Herzen schlagen, das deutsche des alten Breslau und das des polnischen Lemberg.
Polen als EU-Beitrittskandidat aus der ersten Reihe, lange Zeit sogar Musterschüler unter den aufnahmebereiten Staaten, bietet Österreich einen interessanten Markt. Der für Südpolen zuständige österreichische Generalkonsul in Krakau, Dr. Ernst-Peter Brezovszky und der Osteuropa-Experte der Wirtschaftskammer Steiermark, Mag. Wilfried Leitgeb rückten beim Empfang durch den Breslauer Stadtpräsidenten – wir würden Bürgermeister sagen – Stanislaw Huskowski, die Position Polens als Partner zurecht: „Für die österreichische Wirtschaft rangiert Polen unter den Reformländern Mittel- und Osteuropas an vierter Stelle hinter Ungarn, Tschechien und Slowenien und bei den Importen an fünfter Stelle.“ Die Steiermark habe, so Dr. Brezovszky, in der Zusammenarbeit mit Polen eine Vorreiterrolle eingenommen.
Den Rahmen des Protokolls im Rathaus im allerpositivsten Sinne sprengte der bekannte steirische Hotelier und Fließenspezialist Franz Stoiser. War er mit der Absicht angereist, dem Stadtpräsidenten einen Scheck von 7.200 Euro für ein Heim für behinderte Kinder zu überreichen, so verdoppelte er die Summe spontan, als man zuvor nur gesprächsweise die Nöte eines zweiten derartigen Heimes erwähnt hatte. Herzlicher Sonderapplaus für Franz Stoiser, der dazu nur bescheiden meinte, er stamme aus einer dreizehnköpfigen Familie und wisse, was Not und Armut bedeuteten.
Der Wirtschaft galt der eine Teil des Besuches, der Schönheit der Stadt und seiner Umgebung der andere. Ein Spaziergang durch die malerische Altstadt beginnend am Marktplatz, dem Rynek, beim gotischen Rathaus mit seiner aus dem Jahre 1580 stammenden astronomischen Uhr an der Ostfassade und weiter über den Alten Markt und dem benachbarten Salzmarkt, beide mit prachtvollen Bürgerhäusern, die im gotischen und barocken Stil wieder aufgebaut wurden, schlägt den Besucher in seinen Bann. Ein weiteres Baujuwel, die Maria-Magdalena-Kirche am Markt stammt aus dem 14. Jahrhundert, das wertvolle romanische Portal ist noch 200 Jahre älter.
Die Dominsel, Ostrow Tumski, gilt als der älteste Teil der Stadt. Heute finden sich dort mehrere sehenswerte Sakralbauten. Der zweitürmige Johannesdom entstand zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert, die St. Ägidienkirche und die Kirche St. Martin reichen bis ins 12. Jahrhundert zurück. Auf der benachbarten Sandinsel, Wyspa Piaskowa, befindet sich die Kirche St. Maria auf dem Sande. Sie entstand im 14. Jahrhundert und besitzt einige wertvolle gotische Altare. Die kunstvoll ausgemalte Leopoldina-Aula im Hauptgebäude der traditionsreichen Universität gilt als einer der wertvollsten Barockräume Polens.
Außerhalb des Zentrums, an der Straße Zygmunta Wroblewskiego entstand 1913 die von Max Berg entworfene Jahrhunderthalle mit der damals größten freischwebenden Kuppel der Welt.
Graz, am 5.Juni 2002
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