Funktionaler Analphabetismus: 50.000 bis 70.000 Steirer betroffen
Enquete des Steiermärkischen Landtages zum Thema Lese- und Schreibschwäche
„Nach Schätzungen des Unterrichtsministeriums müssen in Österreich bis zu 300.000 Menschen mit dem schwerwiegenden Handicap der Lese- und Schreibschwäche leben.“ Mit diesen alarmierenden Zahlen eröffnete Landtagspräsident Reinhold Purr die heutige Enquete „Grundbildung – Funktionaler Analphabetismus“. „Allein in der Steiermark sind zwischen 50.000 und 70.000 Menschen davon betroffen“, sagt Mag. Otto Rath von ISOP, Innovative Sozialprojekte Graz. „Funktionaler Analphabetismus bedeutet, dass diese Menschen in der Schule zwar ansatzweise Lesen und Schreiben gelernt haben, ihre schriftsprachliche Kompetenz aber nicht ausreicht, um in unserer Gesellschaft zu bestehen. Sie können keine Formulare ausfüllen, keine Verträge abschließen und sich auch nicht um eine Stelle bewerben, weil für sie ein handgeschriebener Lebenslauf schon ein unüberwindbares Hindernis darstellt.“ Menschen mit diesen Grundbildungsdefiziten sind, so Rath, in zunehmenden Maße vom Arbeitsmarkt und von Weiterbildungsmöglichkeiten ausgeschlossen. Mit dieser Enquete nehme der Steiermärkische Landtag eine Vorreiterrolle in Österreich ein, denn bislang wurde das Problem totgeschwiegen. Alle vier Landtagsfraktionen sprechen sich für ein umfassendes Maßnahmenpaket aus, um den Menschen mit Grundbildungsdefiziten eine zweite Chance zu geben.
Der deutsche Bundesverband für Alphabetisierung nennt fünf Gründe für die relativ hohe Zahl an funktionalen Analphabeten. Erstens die ökonomische Armut, meist sind Kinder von sehr kinderreichen, einkommensschwachen Familien davon betroffen, zweitens die soziale Armut (Arbeitslosigkeit und/oder Alkoholismus bei den Eltern), drittens die kommunikative Armut (in vielen Familien wird nicht mehr ausreichend mit den Kindern gesprochen), die pädagogische Armut (es mangelt an entsprechender Sensibilisierung und Ausbildung der Lehrer) und nicht zuletzt die politische Armut, also der Mangel an politischen Initiativen zur Lösung dieses Problems. „Anders als in anderen europäischen Staaten gibt es in Österreich keine Medienkampagne zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit“, so Antje Doberer-Bay von der Volkshochschule Floridsdorf, neben ISOP eine der vier österreichischen Beratungsstellen für Lese- und Schreibschwäche.
Die steirische Anlaufstelle für Lese- und Schreibschwäche, ISOP, ist von 8 bis 18 Uhr unter der Telefonnummer 0316-764646-20 erreichbar.
Graz, am 23. Oktober 2002
Für Rückfragen steht Ihnen als Verfasser bzw. Bearbeiter dieser Information Mag. Inge Farcher unter Tel.: (0316) 877-4241 Fax: (0316) 877-3188 E-Mail: ingeborg.farcher@.stmk.gv.at zur Verfügung